Tipps für Freiberufler zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz

Inwieweit tangiert das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz den Alltag von Freelancern? Unsere dreiteilige Artikelreihe wird sich mit dieser Frage beschäftigen.
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Tipps für Freiberufler zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz

Kristian Borkert – Rechtsanwalt und freiberuflicher Autor
Inwieweit tangiert das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz den Alltag von Freelancern? Unsere dreiteilige Artikelreihe wird sich mit dieser Frage beschäftigen.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat mit ihren Plänen zu Werkverträgen, aber auch zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), die Freiberuflerbranche gründlich aufgemischt. Seit über einem Jahr laufen Freiberuflerverbände wie die ADESW (Allianz für selbstständige Wissensarbeit) und der VGSD (Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland e.V.) Sturm gegen den Gesetzesentwurf. Seit dem 28. Februar 2017 ist die AÜG-Reform verkündet. Sie tritt zum 1. April 2017 in Kraft. Grund genug zu prüfen, was dran ist und wie Freiberufler in Ruhe ihrer Tätigkeit nachgehen können.

Was ändert sich durch das neue AÜG für Freiberufler?

Die gute Nachricht zuerst: Es ändert sich für Freiberufler grundsätzlich nichts bei Werk- und Dienstleistungsverträgen.

Zwei Änderungen sind dennoch zu beachten. Zum einen ist bei jedem Vertrag nunmehr klar festzulegen, ob nach dem Willen der Vertragspartner eine Arbeitnehmerüberlassung (ANÜ) oder ein Werk-/Dienstvertrag vorliegen soll.

Zum anderen fällt ab dem 1. April 2017 die sogenannte Fallschirmlösung (Vorratserlaubnis) weg.

Bis dato war es gang und gäbe, dass IT-Dienstleister oder Freelancer-Agenturen eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung auf Vorrat beantragt haben. Ab dem 01. April 2017 sind „Scheinwerkverträge“ mit dem Wegfall der Fallschirmlösung unwirksam. In Folge dessen kommt es zur Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Einsatzunternehmen – und das Einsatzunternehmen haftet u.a. als Arbeitgeber für die Beiträge zur Sozialversicherung und Lohnsteuer.

Die AÜG-Änderungen haben also starke Auswirkungen auf die Kunden und betreffen damit auch Freiberufler indirekt. Gerade für Verträge und Geschäfte mit größeren Unternehmen ist es von Vorteil, mit diesem komplexen Thema vertraut zu sein.

Daher ist es in jedem Fall unerlässlich, die Werk- und Dienstverträge sorgsam zu gestalten und konsequent umzusetzen.

Was bedeutet das für Freiberufler im Alltag?

Bislang haben insbesondere große und mittelständische Unternehmen mit einer größeren Anzahl von Freelancern versucht, der komplexen, auslegungsbedürftigen und daher unsicheren Rechtlage durch Checklisten, Prozesse und begleitende Maßnahmen Herr zu werden. Dies verlangt von vielen Freiberuflern ein großes Maß an Geduld und Verständnis.

Die Maßnahmen sollen verhindern, dass die Zusammenarbeit als weisungsgebundene, selbstbestimmte Arbeit in Abhängigkeit interpretiert werden kann. Sie sind auf diverse Indizien fokussiert, wie eine E-Mail-Adresse mit Transparenz über den Externen-Status, also Vorname.Name.EXT@unternehmen.de oder ähnliches, getrennte Projekträume, getrennte Zeiterfassungssysteme, ggfs. Ticketsysteme zur Auftragserteilung etc. Jedoch betreffen diese Indizien nur Randbereiche der Zusammenarbeit und nicht den eigentlichen Kern.

Vollständige Sicherheit können solche Maßnahmen daher nicht garantieren. Vielmehr kommt es unter der Betrachtung aller Umstände wesentlich darauf an, wie der Vertrag gestaltet wurde und wie er umgesetzt wird.

Dennoch wird angesichts des Wegfalls der Fallschirmlösung die Tendenz, das Thema ANÜ insbesondere hinsichtlich Scheinwerkverträgen über Checklisten und Co. zu steuern, wohl weiter zunehmen. Viele Unternehmen überarbeiten derzeit ihre Prozesse und Policies. Dabei ist der Spagat zwischen der Steuerung von Projekten oder Leistungen und dem tatsächlichen Ermöglichen von Freiräumen für Freiberufler bei der Vertragserfüllung nicht ganz trivial.

Das Spannungsfeld zwischen Kontrolle und freier Gestaltung der Tätigkeit kann durch eine sorgsame Gestaltung der Werk- und Dienstverträge aufgelöst werden. Keinesfalls ausreichend sind dafür Projektverträge mit dem Titel „Unterstützung im Projekt x“ in den Räumen des Kunden im Jahr 2017 für 75 EUR pro Stunde. Die Verträge sollten detaillierte Regelungen zu folgenden Themen enthalten:

  • Leistungsbeschreibung
  • Mitwirkungen und Beistellungen
  • Aus- und Abgrenzungen
  • Zusammenarbeit/Organisation

Entsprechend der Beauftragung muss dann auch der Vertrag umgesetzt werden. Erfahrungsgemäß kommt es in Projekten immer wieder zu schwierigen Situationen. Häufig werden dann kurzfristig Sonderaufgaben erbeten. Das sollte in dem Vertragsentwurf berücksichtigt sein. Die Entscheidung zur Übertragung der Sonderaufgaben muss entsprechend dokumentiert und umgesetzt werden.

Bestandteile Scrum Team
Kristian Borkert

Bei agilen Projekten ist darauf zu achten, wie die Projektteams geschnitten sind. Es ist entscheidend, dass der Werkunternehmer (= selbstständiger Auftragnehmer) die Verantwortung für die Erstellung der Software oder des Produktes wahrnehmen kann.

Wenn bei Scrum der Werkunternehmer den inneren Kreis (Scrum-Team), also Product Owner, Scrum Master und Entwicklungsteam, stellt, dürfte die Übernahme des unternehmerischen Risikos für die Erstellung der Software grundsätzlich gewährleistet sein. Insbesondere die Selbstorganisation des Scrum-Teams spricht eher für die freie Gestaltung der Tätigkeit und der Zeit.

Sofern sich dabei aus der Projektmethode die Teilnahme an Regelterminen mit dem Kunden z.B. dem Sprint Review ergibt, spricht dies allein nicht gegen eine freie Gestaltung der Tätigkeit und der Zeit. Die regelmäßige Abstimmung mit dem Kunden ist bei Scrum immanent. Auch werden solche Abstimmungen häufig nur zu der Kernarbeitszeit des Kunden sinnvoll durchführbar sein. Zu weitgehend und als Eingriff in die Autonomie des Dienstleisters werden Regelungen zu werten sein, die zur Anwesenheit beim Kunden, Erreichbarkeit oder ähnlichem verpflichten, aber für die Leistungserbringung nicht zwingend erforderlich sind.

Im Einzelfall ist im Interesse von Kunde und Freiberufler anzuraten, den Vertrag rechtlich prüfen zu lassen.

FAZIT

  1. Durch die neue Rechtslage ändert sich unmittelbar nichts für Freiberufler. Wie bisher auch, können Werk- und Dienstverträge vereinbart und erbracht werden. Dabei ist darauf zu achten, dass die Verträge sauber gestaltet und konsequent umgesetzt werden.
  2. Bei jedem Vertrag muss im Vorfeld festgelegt werden, ob nach dem Willen der Vertragspartner eine ANÜ oder ein Werk-/Dienstvertrag vorliegen soll, einschließlich der konkreten Benennung des überlassenen Arbeitnehmers bzw. des Freelancers.
  3. Kunden werden die Prozesse und Policies zur Beauftragung von Freelancern überarbeiten.

Sie sehen, für Ihre Tätigkeit als IT- und Engineering-Freelancer ändert sich nicht wirklich etwas. Trotzdem sollte Ihnen bewusst sein, dass vor allem kleinere und mittlere Unternehmen, die möglicherweise keine Rechtsabteilung im Haus haben, verunsichert sind. Sie sollten sich daher auf Nachfragen sowie einen erhöhten Aufklärungs- und Beratungsbedarf einstellen.

Christian Borkert, Rechtsanwalt

Kristian Borkert ist Gründer der JURIBO Anwaltskanzlei. Er betätigt sich seit rund zehn Jahren als IT-Jurist, Datenschutzbeauftragter, Einkäufer und Scrum Master. Zuvor hat er u.a. den globalen IT-Einkauf der Celesio AG (jetzt McKesson Europe) sowie den Einkauf von Projekten und Dienstleistungen bei der W&W Gruppe verantwortet. Seine Expertise umfasst insbesondere IT & Business Process Outsourcing, SLA, Softwarelizenzen, IT-Projektverträge, Datenschutzvereinbarungen und andere Themen im IT Sourcing.

Er ist Redner, Autor, Blogger, Lehrbeauftragter sowie Referent (BME Akademie). Sein besonderes Interesse gilt agilen Methoden und Zusammenarbeitsmodellen sowie digitaler Transformation unter Einsatz von Blockchain-Technologie.

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