Von Corona wenig Spur – wenig Besorgnis bei Verdienst, Auslastung und Arbeitszeiten für Freelancer

Ergebnisse der GULP Arbeitsleben Studie

Corona-Delle oder Digitalisierungs-Boost? Unsere aktuellen Daten von Selbstständigen aus vorrangig deutschsprachigen Ländern geben eine klare Antwort. Lesen Sie über die Entwicklung des Stundensatzes, dem Umsatz/Gewinn-Rätsel und Details zu Projektauslastung und fakturierten Stunden nach Branchen.
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Von Corona wenig Spur – wenig Besorgnis bei Verdienst, Auslastung und Arbeitszeiten für Freelancer

Ergebnisse der GULP Arbeitsleben Studie

Florian Schießl – Freiberuflicher Autor
Corona-Delle oder Digitalisierungs-Boost? Unsere aktuellen Daten von Selbstständigen aus vorrangig deutschsprachigen Ländern geben eine klare Antwort. Lesen Sie über die Entwicklung des Stundensatzes, dem Umsatz/Gewinn-Rätsel und Details zu Projektauslastung und fakturierten Stunden nach Branchen.

In der Zwischenauswertung der GULP Arbeitsleben Studie 2021 wurde noch gerätselt, was die globale Pandemie mit dem Freelancer-Projektmarkt macht. Mündet die Unsicherheit in der Wirtschaft in zögerliche Projektvergabe? Oder sorgt etwa der Homeoffice-Trend für einen für Freiberufler:innen lukrativen und arbeitsreichen Digitalisierungsboost? Durch die endgültigen Daten mit, je nach Frage, zwischen 301 und 384 Antworten von teilnehmenden Freelancer:innen aus v.a. Deutschland und der Schweiz, haben wir Gewissheit: Den freien Spezialist:innen geht es in den meisten “Disziplinen”, die in diesem Artikel beleuchtet werden, noch besser als zuvor. Nur eine wichtige Kennzahl ging runter und ein Land hat zu kämpfen.

Über die GULP Arbeitsleben Studie

Seit 2013 liefern GULP Studien einen Überblick über Stundensätze, Projekte und Auslastung von freien Mitarbeitenden der IT- und Engineering-Branche. An der aktuellen Arbeitsleben Studie nahmen im Zeitraum von Juni 2021 bis Januar 2022 insgesamt 781 Unternehmer:innen sowie freie und festangestellte Mitarbeitende aus Deutschland, Österreich und der Schweiz teil. Sie gaben Auskunft über Überstunden und Verdienst, Arbeitsleben, Zufriedenheit, Anforderungen an Unternehmen und Expert:innen sowie Trends.

 

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Corona? Tangiert den Stundensatz nicht!

Das Wichtigste vorweg: Der durchschnittliche Stundensatz von Freiberufler:innen ist wieder gestiegen. All inclusive (also mit eingerechneten Nebenkosten wie etwa Unterbringung und Fahrtkosten) haben die freiberuflichen Teilnehmer der aktuellen GULP Arbeitslebenstudie im Jahr 2021 98,37 Euro pro Stunde verdient. Mit einem Plus von 5,8 Prozent gegenüber der letzten Erhebung (92,96 Euro in 2019) zeigt sich der Stundensatz äußerst unbeeindruckt von der Pandemie. Die Steigerung ist sogar stärker als zwischen 2017 (89,87 Euro) und 2019, als die fakturierte Stunde im Schnitt um nur 3,4 Prozent teurer wurde. Weitere Details zur Entwicklung des Stundensatzes finden Sie in diesem Artikel.

Säulendiagramm: Der durchschnittliche Stundensatz von Freelancern in Deutschland ist von 2017 bis 2021 kontinuierlich gestiegen

Umsatz: Die Schere geht auseinander

Mündet ein höherer Stundensatz auch in höherem Umsatz und Gewinn? Nicht automatisch. Die Frage nach dem Brutto-Umsatz im letzten kompletten Kalenderjahr (2020) erbrachte einen Durchschnittswert für Deutschland von 128.568,53 Euro. Verglichen mit den letzten vorliegenden Werten von 2017 lag der Umsatz mit 134.136,70 Euro noch um 4,6 Prozent höher. Corona-bedingte Talfahrt? Nicht so voreilig! Der durchschnittliche Brutto-Gewinn von 2020 war hingegen mit 79.604,99 Euro um 7,9 Prozent höher als der von 2017 (72.775 Euro). Niedrigerer Umsatz, höherer Gewinn – wie kann das sein? Haben etwa Einsparungen bei Reisekosten und angemieteten Büros den Umsatz gedrückt? Berichten Sie uns gerne in den Kommentaren von Ihren individuellen Erfahrungen hierzu.

Säulendiagramm: Im Vergleich zu 2017 ist der Umsatz der Freelancer in Deutschland 2020 gesunken, der Gewinn aber leicht gestiegen

Ein genauerer Blick in die Verteilungen von Umsatz und Gewinn lässt einen weiteren Trend erkennen: Die vielzitierte Schere zwischen “arm” und “reich”, in diesem Fall passender beschrieben als “geringerer Verdienst” und “höherer Verdienst”, scheint zwischen 2017 und 2020 auseinander gegangen zu sein. Sieht man sich den Brutto-Umsatz 2020 an, erkennt man einen “Doppelhöcker” in der Grafik: Die häufigsten Gruppen sind die unterste Umsatz-Gruppe mit <50.000 Euro (24,4 Prozent der Antwortenden) und mit 150.000 bis 200.000 Euro eine der oberen Gruppen (26,3 Prozent). 2017 waren die beiden häufigsten Gruppen im Mittelwert noch umsatzstärker: 100.000 bis 149.000 Euro (33,3 Prozent) und 150.000 bis 200.000 Euro (22,9 Prozent).

Säulendiagramm: Verteilung des Umsatzes von Freelancern in Deutschland 2020 im Vergleich zu 2017

Fasst man mehrere Gruppen zusammen, wird die Schere noch deutlicher sichtbar: 2020 gab es mit 36,7 Prozent mehr Geringverdienende (weniger als 100.000 Euro) als 2017 (31,8 Prozent). Und es gab gleichzeitig auch mehr freie Expert:innen, die mit 150.000 und mehr Euro am oberen Ende der Umsatzskala anzusiedeln sind: 42,1 Prozent, ein Plus von 7,2 Prozentpunkten. Die goldene Mitte mit 100.000 bis 149.000 Euro, die 2017 mit dem großen Anteil von 33,3 Prozent noch für eine grobe Ähnlichkeit mit der gaußschen Normalverteilung gesorgt hatte, ist deutlich auf 21,2 Prozent eingeschmolzen.

Gewinn: Anteil der Spitzenverdiener gestiegen

Die Extrema bei der Aufteilung des Gewinns in Gruppierungen geben zunächst ein ähnliches Bild ab: Die Gruppe am unteren Rand der Skala mit weniger als 25.000 Euro Gewinn ist von 2017 und 2020 um 9,1 Prozentpunkte auf 25,7 Prozent der Befragten angewachsen. Ebenso die Gewinn-Gruppe am oberen Rand: Der Anteil der Spitzenverdiener hat sich von 0,9 Prozent auf 4 Prozent sogar etwa vervierfacht. 

Säulendiagramm: Verteilung des Gewinns von Freelancern in Deutschland 2020 im Vergleich zu 2017

Insgesamt ist die Schablone von der aufgehenden Schere zwischen “arm” und “reich” beim Gewinn jedoch nicht anwendbar. Der Anteil der Freien mit 75.000 und weniger Euro am Ende des Jahres in der Tasche ist sogar leicht gesunken – von 52,3 auf 50,0 Prozent der Befragten. Der Anteil der oberen beiden Gewinn-Gruppen (175.000 Euro und mehr) hat sich jedoch mit 3,6 auf 7,0 Prozent in etwa verdoppelt. Das lässt insgesamt eher darauf schließen, dass es den Selbstständigen in Deutschland noch besser geht als vor der Pandemie, wenn man Faktoren wie die Inflation außen vor lässt.

Ausreichend Projekte vorhanden? Deutschland juchee, Schweiz ohweh

Der Datentrend aus der Zwischenauswertung hat sich hier in etwa bestätigt: Etwa drei Viertel der befragten freien Spezialist:innen (76,0 Prozent) gaben an, dass sie ausreichend Projekte finden. Das waren in etwa so viele wie 2019 (77,8 Prozent). Während besonders in Deutschland von negativen Auswirkungen durch die Pandemie nichts zu spüren ist – 79,3 Prozent fanden ausreichend Projekte gegenüber 77,8 Prozent zum Umfragezeitpunkt im Jahr 2019 –, sieht es in der Schweiz weniger gut aus: Nur knapp mehr als die Hälfte (55,3 Prozent) der teilnehmenden Freelancer:innen mit Hauptwohnsitz in der westlichen Alpenrepublik konnten hier eine positive Antwort geben. Gegenüber 71,5 Prozent aus der Schweizer GULP Freelancer Studie in 2020 ging es diesbezüglich also besorgniserregend steil bergab.

Projektauslastung nach Branchen: Unerwartete Gewinner

Nicht jede Branche ist gleichermaßen von der aktuellen Wirtschaftslage bzw. der Corona-Krise betroffen. Deshalb lohnt sich ein Blick darauf, wie sich die Projektauslastung der Befragten verhält aufgeschlüsselt nach der Branche, in denen sie im aktuellen oder letzten Projekt tätig sind bzw. waren. Dies war aufgrund der Datenlage nicht für jede Branchenkategorie möglich, doch tendenziell zeigt sich die beste Projektauslastung in der Versicherungsbranche mit einem “Ja-Anteil” von 90,6 Prozent gefolgt vom Handel (90,5 Prozent), dem öffentlichen Dienst (87,5 Prozent) in Transport und Verkehr (84,6 Prozent), sowie im Bereich Banken und Finanzen (81,4 Prozent).

gestapeltes Säulendiagramm: In den Branchen Versicherungen, Handel, öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr sowie Banken und Finanzen ist die Projektauslastung der Freelancer am besten

Die IT-Branche, in der die meisten Befragten tätig sind oder waren, liegt in Sachen Projektauslastung nur im unteren Mittelfeld. Hier finden nur 70,0 Prozent derzeit ausreichend Projekte. Weit abgeschlagen und deutlich unter dem Durchschnitt über alle Branchen hinweg zeigt sich auch der Automotive-Bereich. Nur 64,0 Prozent der Befragten in dieser Branche haben keine Projektakquise-Probleme. Die aktuelle Wirtschaftslage bringt nach diesen Ergebnisse überraschende Gewinnerbranchen hervor. Nicht die IT liegt an der Spitze, zumindest auf dem Projektmarkt für Freelancer:innen, wie man aufgrund vieler Digitalthemen, die immer wichtiger wurden, annehmen würde. Vielmehr sind es Branchen, die gerade stark im Wandel sind, beispielsweise der öffentliche Dienst, in dem gerade zahlreiche Modernisierungsprojekte angestoßen werden. Auch im Handel verändert sich coronabedingt derzeit so einiges – und erhöht somit die Nachfrage nach externen Expert:innen.

Arbeitszeiten: Selbstständige etwas fleißiger als Vollzeit-Festangestellte

Wie viel arbeiten die meisten Freelancer pro Jahr? Zur Anzahl der abrechenbaren Stunden gibt es konkrete Zahlen: Die meisten Freiberufler:innen aus unserer Umfrage fakturierten 200-250 Tage im Jahr 2020. Über alle Länder hinweg (28,9 Prozent), sowie die Schweiz (28,8 Prozent) und Deutschland (28,3 Prozent) separat betrachtet, entfallen zwischen einem Viertel und einem Drittel der Antworten auf diese Gruppe.

Fasst man die Antwortgruppen vom unteren, sowie die vom oberen Ende der Skala zusammen, ergibt sich folgendes Bild: 38,3 Prozent der Teilnehmenden rechneten im ersten Pandemie-Jahr 2020 0 bis 150 Tage ab und annähernd die Hälfte der Befragten (45,8 Prozent) 200 und mehr Tage. Die Daten aus Deutschland und der Schweiz unterscheiden sich dabei nicht wesentlich.

Säulendiagramm: Freelancer waren 2020 am häufigsten zwischen 200 und 250 Arbeitstagen im Projekt

Für die tatsächlichen Arbeitsstunden pro Jahr muss man zu den Daten aus dem GULP New Work Kompendium 2019 zufolge rund 20 Prozent zu den fakturierbaren Stunden hinzurechnen. So viel Zeit wird den Befragten zufolge in nicht abrechenbare, zusätzliche Arbeit wie Administration, Akquise & Co. gesteckt. Entsprechend ist die Gruppe mit 150-200 abrechenbaren Tagen (15,9 Prozent  der Befragten) am ehesten mit der typischen Anzahl an Arbeitstagen von Vollzeit-Festangestellten (225 Tage) vergleichbar: Bei angenommenen 175 fakturierten Tagen kommt man nach Hinzurechnen von 20 Prozent auf 210 Arbeitstage. Demzufolge arbeiten 38,3 Prozent der Freiberufler:innen insgesamt weniger als ein durchschnittlicher Vollzeit-Arbeitnehmer (die Antwortgruppen 0-150 abrechenbare Tage pro Jahr + 20 Prozent Aufschlag) und 45,8 Prozent mehr (die Antwortgruppen 200 und mehr abrechenbare Tage pro Jahr + 20 Prozent Aufschlag). Auch, wenn wir hier keine Vergleichsdaten zur Vor-Corona-Zeit haben, macht es auf Basis der vorliegenden Daten nicht den Anschein, als würde Corona den freien Spezialist:innen die Arbeit nehmen.