IT für Geflüchtete – Interview mit zwei engagierten Freiberuflern

Volker Werbus und Andreas Tichon, IT-ler, Freiberufler und seit einiger Zeit auch Flüchtlingshelfer. Wir wollten gerne von beiden wissen, wie sie sich einsetzen, was sie dabei tagtäglich erleben und wie sie die Flüchtlingssituation in Deutschland wahrnehmen.
Mann mit blauem Hemd am Computer am Programmieren - natürliche Farben

IT für Geflüchtete – Interview mit zwei engagierten Freiberuflern

Maria Poursaiadi
Volker Werbus und Andreas Tichon, IT-ler, Freiberufler und seit einiger Zeit auch Flüchtlingshelfer. Wir wollten gerne von beiden wissen, wie sie sich einsetzen, was sie dabei tagtäglich erleben und wie sie die Flüchtlingssituation in Deutschland wahrnehmen.

Volker Werbus und Andreas Tichon, IT-ler, Freiberufler und seit einiger Zeit auch Flüchtlingshelfer. Wir wollten gerne von beiden wissen, wie sie sich einsetzen, was sie dabei tagtäglich erleben und wie sie die Flüchtlingssituation in Deutschland wahrnehmen.

 

GULP: Bitte beschreiben Sie uns, worin Ihr Projekt in Sachen Flüchtlingshilfe besteht.

Volker Werbus: Meine Organisation heißt Refugees Online. Wir kümmern uns, einfach gesagt, um einen Internetzugang für die Bewohner in Flüchtlingsunterkünften.

Andreas Tichon: Wir verfolgen mit Nerds4Refugees einen etwas anderen Ansatz. Unser großes Ziel ist es, irgendwann möglichst viele Hilfs-Initiativen auf einer Plattform zusammenzuführen und sie dadurch effizienter zu gestalten. Einen kleinen Schritt haben wir schon mit unserem Online Helfer-Koordinationssystem gemacht. Hier werden von zunächst einmal einer Hilfsorganisation, nämlich der Münchner Flüchtlingshilfe, Schichten angezeigt, zu denen sich freiwillige Helfer eintragen können. So erreichen wir, dass die Helfer zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind.

 

GULP: Herr Werbus, man könnte meinen, dass der Internetzugang nicht das erste ist, wonach Flüchtlinge bei ihrer Ankunft fragen. Ist Ihre Erfahrung eine andere?

Volker Werbus: Absolut! Viele dieser Menschen waren monatelang unterwegs und praktisch im Funkloch verschwunden. Es ist ihnen neben Essen, Trinken und Schlafen natürlich das erste Bedürfnis, mit ihren Verwandten zu sprechen, ihnen ein Lebenszeichen zu geben und selbst eines zu erhalten. Viele von ihnen haben zwar ein Smartphone, aber die telefonische Infrastruktur in den Heimatländern ist zusammengebrochen oder sie können sich den Anruf schlichtweg nicht leisten. Facebook oder Skype sind das nächste Mittel zur Kontaktaufnahme – dann ist der Internetzugriff natürlich ein großes Bedürfnis.

 

GULP: Herr Tichon, die Flüchtlingshilfe München ist ein organisierter Verein, der nicht erst seit gestern besteht. Was hat Sie dazu veranlasst ein Helfer-Koordinationssystem zu programmieren?

Andreas Tichon: Vor einigen Monaten habe ich mich selbst freiwillig gemeldet. Als ich damals am Hauptbahnhof München ankam, bemerkte ich sehr schnell, dass das Organisationsteam vor Ort Schwierigkeiten hatte, die zahlreichen Helfer zu koordinieren und effizient einzusetzen. Bis zu dem Zeitpunkt wurden alle Absprachen über Doodle oder Facebook getätigt. Beispielsweise kamen an manchen Tagen zu viele Helfer und an anderen wieder zu wenige.

 

GULP: Mal zu viele, mal zu wenige Helfer. Gibt es noch andere Dinge, die Sie hinsichtlich der aktuellen Flüchtlingshilfe in Deutschland verbessern möchten?

Andreas Tichon: Mein Team und ich verfolgen pragmatische Lösungsansätze zur Entlastung der Hilfsorganisationen, aber auch der Flüchtlinge selbst. Das große Ziel ist es, später Hilfsinitiativen bundesweit auf einer Plattform zu bündeln, Synergien zu schaffen und gleichzeitig den Flüchtlingen Zugang zu Integrationsangeboten zu verschaffen. Da ist die Helferkoordination nur ein Teilaspekt. Wir müssen den Hilfsorganisationen einen Ort bieten, an dem sie gezielt nach Helfern suchen und diese auch finden können. Ein weiterer sehr wichtiger Punkt ist das Ressourcen-Management im Bereich der Sachspenden und Spendengelder – mancherorts sind die Kleidercontainer prall gefüllt, während es woanders an Jacken, Hosen oder Socken fehlt. Hier muss noch ein bedarfsgerechter Ausgleich stattfinden.

 

GULP: Beide Projekte hören sich nicht gerade so an, als ob sie Ihnen mit geringem Aufwand von der Hand gingen. Wie schaffen Sie das?

Volker Werbus: Am Anfang hatte ich eigentlich den bescheidenen Plan, einen Tag die Woche für die ehrenamtliche Tätigkeit aufzuwenden. Inzwischen muss meine Frau als Korrektiv hinsichtlich meiner Arbeitszeiten dazwischen grätschen. Der riesige Bedarf und die technischen, rechtlichen und organisatorischen Herausforderungen verlangen förmlich nach nachfeierabendlicher Aktivität. Ich merke aber selbst, dass ich langsam an meine Belastungsgrenzen stoße. Daher versuche ich, mein Vorhaben und mein Wissen an weitere Helferkreise zu übertragen.

Andreas Tichon: Meine Teamkollegen halten es ähnlich wie Herr Werbus und arbeiten ebenfalls nach Feierabend weiter. Für mich selbst ist es etwas einfacher, da ich aktuell auf der Suche nach einer neuen beruflichen Aufgabe bin. Was die Einschätzung meines Pensums anbelangt, lag ich aber anfangs auch leicht daneben. Ich bin ja mehr oder weniger in die ganze Sache reingerutscht. Heute kann ich mich vor lauter Arbeit kaum mehr retten. Ich werde die hohe Schlagzahl aber auf jeden Fall beibehalten, bis ich einen neuen Job habe.

 

GULP: Herr Werbus, sind Sie ebenfalls durch Zufall darauf gekommen, Flüchtlingen zu helfen?

Volker Werbus: Mein persönlicher Auslöser war mein 50. Geburtstag. Manche Freunde schieben es auf eine Midlife Crisis. Ich hab für mich aber festgestellt, dass es mir eigentlich ganz gut geht und es an der Zeit ist, etwas zurückzugeben. Meine ersten Gespräche mit verschiedenen Hilfsorganisationen waren aber nicht ganz zielführend. Ich wollte nicht einfach nur etwas spenden, sondern mein Know-how als Ingenieur einbringen. Ich bin dann auf Refugees Emancipation gestoßen, eine Organisation, von Flüchtlingen für Flüchtlinge gegründet. Ich habe schnell festgestellt, dass die dort formulierten Bedürfnisse zum Teil ganz andere waren, als man sofort vermuten würde – z.B. der vielbesagte Internetzugang. So bin ich auf die Idee zu meinem Verein gekommen. Mit meiner Vergangenheit als Technikvorstand und mit den richtigen Kontakten war es förmlich eine Bestimmung.

 

GULP: Eine Bestimmung, die nicht nur hohe Ansprüche an Ihr Zeit-Management stellt, sondern sicherlich auch emotionale Belastung bedeutet. Wie erleben Sie die Begegnung mit Flüchtlingen?

Volker Werbus: Intensiv. Wissen Sie, unsere Arbeit ist ja nicht damit getan, dass wir eine Leitung verlegen und dann wieder weg sind. Wir betreuen die eingerichteten Computerräume und geben auch Unterricht. Daher ist der Kontakt zu den Bewohnern natürlich auch recht rege. Als ich einmal einen der Computerräume aufsuchte, saß dort ein Flüchtling, ein Sprachlehrer aus Sierra Leone, in der Ecke und weinte leise vor sich hin. Es stellte sich heraus, dass er gerade eine E-Mail von seinem Bruder erhalten hatte, mit dem er seit mehr als einem halben Jahr keinen Kontakt hatte. Es waren also Freudentränen. Solche Momente geben mir das Gefühl, das Richtige zu tun.

 

GULP: Was ist Ihre größte Bestätigung, Herr Tichon?

Andreas Tichon: Genau das! Lächelnde Gesichter. Das hört sich total klischeehaft an. Aber wenn man Menschen sieht, die auf ihren Weg beinahe gestorben wären und sich über einfachste Dinge freuen wie Schuhe oder eine warme Tasse Tee. Einfach gesagt: Wenn ich merke, dass sie sich bei uns willkommen fühlen.

 

GULP: Wie reagiert Ihr Umfeld auf Ihr Engagement?

Andreas Tichon: Sehr positiv. Die meisten wollen gleich helfen. Natürlich muss ich mir ab und an auch Kritik anhören. Ich solle mich doch lieber um einen Job kümmern. Aber das ist nichts, wenn ich mir andere Flüchtlingshelfer ansehe, die echte Drohmails bekommen haben. Aber selbst dann würde ich mich nicht zurücknehmen. Ich stehe zu meiner Meinung und sehe es nicht ein, mich zu verstecken.

Volker Werbus: Meine Familie findet die Sache gut. Meine Frau und meine Tochter packen mit an. Erstaunlicherweise reagiert auch mein weiteres Umfeld durchgehend positiv. Was mich nervt, ist, dass das Internet von einigen als Luxusproblem eingestuft wird. Ich muss mir ab und an anhören: „Und? Kommt als nächstes der Flachbild-Fernseher für Flüchtlinge?“. Diese Sichtweise greift aber zu kurz, denn ohne den Zugang zu Informationen des alltäglichen Lebens kann eine Integration nicht stattfinden. Im Übrigen sehe ich es mit der Haltung gegenüber fremdenfeindlichen Gesinnungen genauso wie Herr Tichon: Wir müssen uns dem klar entgegenstellen.

 

GULP: Dann wollen wir Ihnen auf der Ebene die nächste Frage stellen: Was halten Sie beide denn von der derzeitigen Haltung der Politik hinsichtlich der Flüchtlingsfrage?

Volker Werbus: Für mich geht eine ganz klare Aussage durch die gesamten demokratischen Institutionen. Ich sehe auch auf Behördenseite endlich einen Ruck durch die Reihen gehen. Sie scheinen die Internet-Problematik endlich begriffen zu haben. Erst kürzlich wurde in einer Stellungnahme schriftlich bestätigt, dass der soziale Frieden in Flüchtlingsunterkünften mit Internet-Zugang deutlich besser gewahrt wird als ohne. Das lässt sich damit erklären, dass die Leute die langen Wartezeiten einfach besser überbrücken und ein Stück weit ihre Eigenständigkeit bewahren können.

Andreas Tichon: Meiner Meinung nach könnte es in Deutschland trotzdem besser laufen. Für mich arbeiten die Behörden aktuell noch nicht optimal zusammen. Außerdem frage ich mich, warum immer noch so vieles über freiwillige Helfer aus der Bevölkerung organisiert und gestemmt wird.

 

GULP:  Und was würden Sie sich von der Hilfe als solche wünschen?

Andreas Tichon: Bedarfsgerechte Hilfe. Ich habe manchmal den Eindruck, dass manche Hilfsmaßnahmen nicht gut genug durchdacht sind. Beispiel: Als die Züge mit hunderten von Flüchtlingen am Münchner Hauptbahnhof ankamen, wurden an die Aussteigenden haufenweise Kinderwagen verschenkt. Was die Helfer nicht wussten: Für die meisten Reisenden ging es nach einem kurzen Aufenthalt gleich im Bus weiter. Was zufolge hatte, dass all diese Kinderwagen wieder herrenlos sich selbst überlassen waren. Ich wünsche mir mehr sinnvolle Hilfe. 

Volker Werbus: Ich denke auch, dass Geld und Sachspenden einfach zu kurz greifen. Sie leisten natürlich zur ersten Bedarfsabdeckung ihr Gutes, wenn sie nicht gerade, wie in Herr Tichons Beispiel, fehlgehen. Ich für meinen Teil wünsche mir, dass die Leute öfter den Dialog zu Flüchtlingen suchen. Das würde an mancher Stelle unbedachte Urteile und Ansichten über den Haufen werfen. Die vielen Flüchtlinge, die hier ankommen, sind nicht nur Extremisten oder Bauern. Man findet unter ihnen das gesamte Spektrum einer Bevölkerung wieder, also vom ganz normalen Menschen bis hin zum Studierten und Intellektuellen. Ein kleiner Smalltalk könnte schon helfen, die Angst auf beiden Seiten abzubauen. Wenn Sie im Supermarkt zum Beispiel eine Gruppe Ausländer zusammenstehen sehen, könnte der Grund dafür sein, dass sie einfach Angst vor Anfeindungen der Anwohner haben und nicht gerade einen Terrorakt aushecken. Ich stelle tagtäglich fest, dass die meisten Menschen, die hierher kommen, eine unglaubliche Motivation haben, ihr Leben wieder zu kitten. Sie sind sich bewusst, dass sie unter den gegebenen Umständen keine großen Sprünge auf der Karriereleiter mehr machen werden, aber das wollen sie auch nicht. Erinnern Sie sich noch an den Sprachlehrer aus Sierra Leone? Er ist mittlerweile in einem Gastronomiebetrieb angestellt und er ist glücklich damit. Für ihn ist der Job keine Schmach, sondern der erste Schritt in ein besseres Leben bei uns.

 

GULP: Wo könnte man Ihnen beiden noch unter die Arme greifen?

Volker Werbus: Ich suche Leute, die über IT-Know-how verfügen und andere Flüchtlingsunterkünfte mit aufbauen möchten oder engagierte Helfer, die jemanden mit IT-Know-how kennen und diese begeistern.

Andreas Tichon: Wir brauchen dringend PHP-Programmierer, die aktiv an unserem Koordinationstool arbeiten können. Ein bis zwei Stunden pro Tag sollten diese aber aufbringen können.

GULP: Herr Tichon und Herr Werbus wir danken Ihnen für das Interview.