Koalitionsvertrag – So will die neue Bundesregierung die Digitalisierung beschleunigen

Koalitionsvertrag – So will die neue Bundesregierung die Digitalisierung beschleunigen
Grün ist die Farbe der Digitalisierung. Oder gelb? Jedenfalls herrschte zwischen FDP und Grünen während der Verhandlungen über den Koalitionsvertrag immer dann besonders große Eintracht, wenn es um digitale Themen ging.
Das Ergebnis ihrer Verhandlungen ist zwar nicht der große Wurf, umfasst aber vieles, worauf Deutschland in der Digitalisierung lange gewartet hat. „Der Koalitionsvertrag bleibt in puncto Digitalisierung etwas hinter den hohen Ansprüchen des Sondierungspapiers zurück, bietet aber eine Fülle guter Ansätze, um Deutschland fit zu machen für die digitale Welt“, lobt der Präsident des Digitalverbandes Bitkom, Achim Berg.
Der Chef des künftigen Bundesministeriums für Verkehr und Digitales, FDP-Generalsekretär Volker Wissing, soll dazu an vielen Schrauben drehen – vor allem aber die digitale Infrastruktur modernisieren, Behörden digitalisieren und in Deutschland eine neue „Datenkultur“ schaffen.
Infrastruktur – Breitband für alle
Im Bereich der für die Digitalisierung erforderlichen Infrastruktur will die neue Koalition endlich die Hausaufgaben ihrer Vorgängerregierung machen und flächendeckend Glasfasernetze aufbauen. Im Mobilfunk soll 5G überall in Deutschland verfügbar sein.
Da die FDP jedoch keine Schulden machen will, um Zukunftsinvestitionen zu finanzieren, soll der Netzausbau „eigenwirtschaftlich“ erfolgen. Wer genau die Netze in die Erde bringen soll, geht aus dieser Formulierung nicht hervor. Denn der Begriff der „Eigenwirtschaftlichkeit“ ist nicht klar definiert. Er wird sowohl für kommunale Unternehmen wie Tochtergesellschaften privater Unternehmen verwendet, wenn diese kostendeckend wirtschaften.
Ob das Versprechen der Koalitionäre den Netzausbau also wirklich weiter voranbringt als in der Vergangenheit, bleibt abzuwarten. Schließlich ist er bislang weder den Netzbetreibern noch den Kommunen gelungen. Allerdings verspricht die neue Regierung in ihrem Koalitionsvertrag auch, Antrags- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und den Einsatz von Verlegetechniken zu erleichtern, die ohne umfangreiche und teure Erdarbeiten auskommen.
Selbst in den Ausbau der digitalen Infrastruktur investieren will die Ampelkoalition nur, „dort, wo der Nachholbedarf am größten ist“ – vor allem in „weißen Flecken“. Außerdem will sie Netzbetreiber „wo nötig regulatorisch“ dazu zwingen, ihre Netze zu öffnen, und spricht Verbrauchern Schadensersatzansprüche zu, wenn Anbieter die von ihnen zugesicherte Bandbreite nicht liefern. Ein bundesweites „Gigabit-Grundbuch“ soll Bürgern und Unternehmen Auskunft darüber erteilen, wie leistungsfähig das bei ihnen anliegende Netz ist.
Verwaltung – Open Source in der Amtsstube
Auch mit der längst überfälligen Digitalisierung der Verwaltung will die Ampelkoalition Ernst machen. Dazu wird diese „zu einem allgemeinen und behördenübergreifenden Kernbestandteil der Ausbildung“ im öffentlichen Dienst. Außerdem will die neue Bundesregierung das Onlinezugangsgesetz (OZG) „weiterentwickeln“.
Das 2017 verabschiedete Gesetz verpflichtet Behörden, Kommunen und Landkreise, ab 2022 insgesamt 575 Verwaltungsleistungen auf Portalen im Internet anzubieten. Davon ist die öffentliche Hand allerdings meilenweit entfernt. Noch im September 2021 konnten Bürger und Unternehmen gerade mal 16 Verwaltungsleistungen online in Anspruch nehmen, beklagt der Deutsche Beamtenbund.
Um die Umsetzung des OZG und die Digitalisierung in den Amtsstuben zu beschleunigen, will die Ampelkoalition nun aber die Entwicklung von Software für die Verwaltung mit Bundesmitteln fördern. Außerdem soll diese nach dem Einer-für-alle-Prinzip entstehen, so dass Kommunen und Behörden Anwendungen übernehmen können, die andere Ämter entwickelt haben. Damit dies technisch funktioniert, sollen der im Rahmen öffentlicher Aufträge geschriebene Code konsequent Open Source sein und Anwendungen auf offenen Standards aufbauen. Zudem soll eine Cloud für die öffentliche Verwaltung entstehen.
Auch eines der bislang größten Probleme bei der Umsetzung des OZG will die neue Bundesregierung angehen. Bislang scheiterte die Digitalisierung vieler Verwaltungsleistungen, weil die ihnen zugrunde liegenden Gesetze beispielsweise die Schriftform oder eine eigenhändige Unterschrift des Antragstellers forderten. Solche Schriftformerfordernisse will die Koalition nun mit einer „Generalklausel“ abschaffen. Um Probleme künftig zu vermeiden, will sie neue Gesetze vor deren Verabschiedung zudem einem Digitalisierungscheck unterziehen.
Neben der Verwaltung will die neue Bundesregierung auch die Justiz digitalisieren. Gerichtsverfahren sollen „schneller und effizienter“ werden, Verhandlungen „online durchführbar sein“ und Beweisaufnahmen digital dokumentiert werden dürfen. Bislang fordert das Prozessrecht, Beweise und Zeugenaussagen im Gerichtssaal vorzutragen oder schriftlich vorzulegen. Für die Durchsetzung von „Kleinforderungen“ will die Ampel sogar komplett „digitale Verfahren“ einführen.
Daten – Raus aus den Silos
Auch beim Umgang mit und dem Zugang zu Daten hat sich die neue Koalition einiges vorgenommen. So soll ein neues „Datengesetz“ Bürgern und Unternehmen einen Rechtsanspruch auf die Daten garantieren, an deren Entstehung sie mitgewirkt haben. Zudem sollen Unternehmen und Wissenschaftler Daten leichter nutzen können, deren Erhebung mit Steuergeldern bezahlt wurde. „Sehr große Plattformen“ will die Koalition dazu verpflichten, ihre Daten für Forschungszwecke freizugeben. Insgesamt will sie so „insbesondere Startups sowie KMU neue innovative Geschäftsmodelle und soziale Innovationen in der Digitalisierung“ ermöglichen. Im Gegenzug sollen Kommunen, Landkreise, die Länder und der Bund Zugang zu Daten von Unternehmen bekommen, wenn diese Informationen für die öffentliche Daseinsvorsorge wichtig sind.
Datenschutz – Sicherheit hat Vorrang
Damit der Datenschutz dabei nicht auf der Strecke bleibt, will die Ampel die vom Bundesdatenschutzgesetz vorgesehene Datenschutzkonferenz zu einer festen Institution machen und „ihr rechtlich, wo möglich, verbindliche Beschlüsse ermöglichen.“ Außerdem will sie eine „ambitionierte“ E-Privacy-Verordnung verabschieden und eine klare Rechtsgrundlage für den Umgang mit Mitarbeiterdaten in Unternehmen schaffen.
Die Datensicherheit wollen die Koalitionäre durch die gesetzliche Verankerung des „Security-by-Design/Default“-Grundsatzes sowie dadurch gewährleisten, dass Bürger und Unternehmen ein Recht auf Verschlüsselung bei der Übertragung ihrer Daten bekommen. Dieses werden auch staatliche Stellen respektieren müssen.
Außerdem will die neue Bundesregierung Unternehmen dafür in die Haftung nehmen, wenn durch Sicherheitslücken in der IT ihrer Produkte Schäden entstehen. Das Bundesamt für Sicherheit (BSI) in der Informationstechnik will die Ampel dabei als Aufsichtsbehörde stärken, indem sie das Amt „unabhängiger“ macht. Zugleich will sie alle staatlichen Stellen verpflichten, ihnen bekannte Sicherheitslücken im IT-Bereich an das BSI zu melden.
Neue Bundesregierung will Digitalisierung agil umsetzen
Viele dieser Vorhaben sollen „feste ressort- und behördenübergreifende agile Projektteams und Innovationseinheiten“ unter der Führung des neuen Ministeriums für Verkehr und Digitales vorbereiten und umsetzen. Bleibt zu hoffen, dass die Beamten bei ihren Projekten mit der hierarchiefreien Selbstorganisation klar kommen und die Harmonie zwischen ihnen dabei so groß und produktiv ist wie die Eintracht der Ampelparteien während der Koalitionsverhandlungen.