Stress und Burnout: Sind Selbstständige besonders gefährdet?

Studien sagen: Beschäftigte in der IT leiden stärker unter Stress als Arbeitende in anderen Branchen. Zudem ist der Stressfaktor bei Selbstständigen höher als bei Angestellten. Also müssten IT-Freiberufler vor Stress völlig ausgebrannt sein, oder?
gulp personaldienstleistung - freelancer - projektalltag

Stress und Burnout: Sind Selbstständige besonders gefährdet?

GULP Redaktion
Studien sagen: Beschäftigte in der IT leiden stärker unter Stress als Arbeitende in anderen Branchen. Zudem ist der Stressfaktor bei Selbstständigen höher als bei Angestellten. Also müssten IT-Freiberufler vor Stress völlig ausgebrannt sein, oder?

Beschäftigte in der IT leiden stärker unter Stress als Arbeitende in anderen Branchen. Zudem ist der Stressfaktor bei Selbstständigen noch einmal höher als bei Angestellten. Fast wöchentlich werden Studien veröffentlicht, die eine dieser beiden Thesen untermauern. Also müssten IT-Freiberufler vor Stress völlig ausgebrannt sein. Zum einen stimmt es sicherlich, dass es viel Kraft erfordert, sein eigener Chef zu sein und in stressigen IT-Projekten stets sein Bestes zu geben. Andererseits kann es so schlimm nun auch nicht sein, sonst gäbe es keine IT-Freiberufler.

Wer sich in der Arbeit nicht selbst verwirklichen kann und keine Entwicklungsperspektiven sieht, gerät schnell in Stress. Da haben Freelancer die Nase vorn, denn sie haben ihr Arbeitsleben selbst in der Hand und können es gestalten. Menschen, die selbstbestimmt arbeiten können, leiden seltener unter psychosomatischen Erkrankungen, sagt eine Studie der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege und der Deutschen Angestellten-Krankenkasse.

Was ist also dran an der These, dass vor allem IT-Freelancer Burnout-gefährdet sind? Wir lassen zwei Experten sprechen.

Freelancer unter Dauerstress – IT als neue Burnout-Branche

Den Gesundheitsberichten der Krankenkassen zufolge sind die Beschäftigten der IT-Branche sehr gesund. Dem ist die Technische Universität Dortmund in Kooperation mit GULP Ende 2009 in einer Online-Befragung nachgegangen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass es sich hier um ein Phänomen des Präsentismus handelt – das heißt, die IT-ler tauchen in den Krankenkassenstatistiken nicht auf, da sie weiterarbeiten, auch wenn es ihnen nicht gut geht. Die Befragten berichten durchaus von deutlichen gesundheitlichen Problemen. Vorneweg sind dies Muskel-/Skelettprobleme und psychische Beschwerden.

Selbstständige stärker betroffen als Angestellte

 

Diagram über verschiedene Burnout Beschwerden

Freelancer sind hierbei deutlich stärker betroffen als abhängig Beschäftigte. So klagten 65 Prozent der Alleinselbstständigen über vermutlich arbeitsbedingte Muskel-oder Skelettbeschwerden in den vergangenen zwölf Monaten, 52 Prozent über vermutlich arbeitsbedingte psychische Probleme. Mehr als die Hälfte der befragten Freelancer leiden unter Ängsten und negativen Emotionen. Ebenso viele berichten von Erschöpfung und Regenerationsunfähigkeit. Sowohl Ängste und negative Emotionen als auch Erschöpfung und Regenerationsunfähigkeit sind typische Burnout-Symptome.

Job bis zur Rente?

Die Belastungen ihres Berufs sind so umfangreich, dass nur 30 Prozent der Freelancer sowie etwa 40 Prozent der abhängig Beschäftigten davon ausgehen, die Belastungen bis zum Rentenalter von 65 Jahren aushalten zu können.

10 Prozent der abhängig Beschäftigten und 14 Prozent der Freelancer gehen davon aus, dass sie die Belastungen nicht einmal bis zum 50. Lebensjahr aushalten werden – sie meinen „Eigentlich müsste ich jetzt schon aufhören“ – bei einem Durchschnittsalter von 43 Jahren. Hauptgrund dafür sind psychische Probleme.

Grenze zwischen beruflichem Einsatz und Burnout

Aber der Stress und die Arbeitsemotionen werden bei den Freelancern nicht nur negativ eingeschätzt. Ein Viertel von ihnen fühlt sich nicht erschöpft oder regenerationsunfähig. Zwei Drittel der Alleinselbstständigen geben eine starke oder sehr starke positive Leistungsorientierung an (empfinden den beruflichen Stress als angenehm, fühlen sich verantwortlich, erwarten viel von sich, haben Spaß an der Arbeit und sind stolz auf ihre Leistungen). Bei den abhängig Beschäftigten sind dies weniger als die Hälfte (43 Prozent).

Offenbar gibt es unter den Freelancern viele, die mit großem Spaß und Einsatz dabei sind, die durch ihre Arbeit nicht erschöpft sind und die gut abschalten können. Genauso gibt es aber auch einen großen Teil, die ihre Grenzen überschreiten und bei denen dann auch die Arbeitsfreude und der Einsatzwille verloren gegangen sind – die also die Grenze zwischen hohem beruflichen Einsatz und Burnout überschritten haben. Fast jeder vierte Freiberufler hat im letzten Jahr keinen Urlaub gemacht (23 Prozent). Das ist viel - aber bei den Angestellten sind es noch mehr: 29 Prozent der abhängig Beschäftigten machten keinen Urlaub.

Die Befragung zeigt außerdem, dass Freelancer deutlich mehr gesundheitliche Prävention betreiben. Bei den betrieblichen Präventionsangeboten sind sie aber zumeist außen vor. Freelancer sind bei ihren Präventionsaktivitäten auf sich allein gestellt. Entsprechend wünschen sie sich auch häufiger als abhängig Beschäftigte passende Unterstützung.

Was führt zu psychischen Problemen in der Arbeit?

In der Studie wurde zusätzlich der Frage nachgegangen, welche Faktoren der Arbeit zu psychischen Problemen führen. Erstaunlicherweise sind dies nicht die langen Arbeitszeiten. Vielmehr liegt es in der Art der Aufgaben sowie im Verhältnis zu Kollegen oder Kunden und – besonders bei den Freelancern – in der mangelnden Trennung von Arbeit und Privatleben. Die Rangfolge der Belastungsfaktoren, die zu psychischen Problemen und Burnout führen können, ergibt sich aus der Befragung wie folgt:

  1. Schlecht zu bewältigende Aufgaben
  2. Sinnlose Aufgaben: „Mein Einsatz lohnt sich nicht!“
  3. Kaum Wertschätzung durch Vorgesetzte und/oder Kunden
  4. Nicht nachvollziehbar strukturierte Aufgaben
  5. Ergebnisdruck
  6. Geringe Austauschmöglichkeiten mit Kollegen
  7. Unangemessene Vergütung
  8. Keine regelmäßigen Pausen
  9. Zeitdruck
  10. Keine zeitliche Trennung zwischen Arbeit und Privatleben
  11. Schlecht vorhersehbare Aufgaben und Ereignisse
  12. Wirtschaftlicher Druck
  13. Geringe Arbeitsplatzsicherheit
  14. Keine räumliche Trennung zwischen Arbeit und Privatleben
     

Burn-on – Damit Arbeit Spaß und nicht krank macht

Burnout bedeutet, wie die meisten Menschen mittlerweile wissen, durch chronischen Stress in Hochpotenz innerlich auszubrennen. Er ist meist Folge einer Selbstausbeutung über die Grenzen der Gesundheitsschädigung hinaus, die sich schleichend vollzieht.

Burn-on bedeutet hingegen zu brennen, ohne auszubrennen. Das heißt ganz konkret, die persönliche Arbeit viel stärker nach den eigenen Potenzialen und Fähigkeiten auszurichten. Ein intuitiv-kreativer Visionär wird weder Spaß noch Erfüllung darin finden, im Controlling eingesetzt zu werden. Natürlich kann er dies, weil er intelligent ist. Diese Arbeit erfordert jedoch eine strukturiert-analytische Art, die ihm möglicherweise schwer fällt. In letzter Konsequenz wird er sich stärker anstrengen und konzentrieren müssen und dennoch mehr Fehler machen als Kollegen, denen routinierte Strukturarbeit einfach mehr liegt und Spaß macht.

Dabei ist Stress keineswegs nur eine negative Dimension unseres Lebens. Stress ist eine ganz normale physiologische Reaktion unseres Körpers. Stress kann uns energetisch befeuern. Eine Stress-Reaktion ist individuell unterschiedlich – einige reagieren bereits bei wenig Stress mit hoher Alarmbereitschaft, während andere sehr stressreiche Ereignisse sehr locker bewältigen können. Je nachdem, wie wir eine Situation bewerten, kann uns diese anregen oder eben krank machen. Wenn Mitarbeiter Unsicherheit und Angst empfinden und keinen wirklichen Sinn mehr in ihrer Arbeit sehen, ist die Gefahr in ein Burnout zu schlittern viel größer als wenn sie mit Faszination und Neugierde ihren Job machen. Dementsprechend ist der Umgang mit Belastungssituationen. Es kommt also darauf an, wie wir eine Situation bewerten.

Arbeit, die Spaß oder krank macht

Dieselbe Arbeit kann einen Menschen krank und dem anderen Spaß machen. Wenn wir das tun, was uns wirklich entspricht, was Spaß macht und wofür wir wirklich innerlich brennen, kommen wir gar nicht in eine Burnout-Situation – auch wenn wir für diese Tätigkeit einen hohen Zeitaufwand betreiben. Wenn wir jedoch etwas gegen unsere innere Grundhaltung machen, eine nicht beseelte oder uns sinnlos erscheinende Arbeit ausführen oder unsere eigenen Bedürfnisse überspringen, kann es dazu führen, dass wir krank werden.

Es gibt natürlich Berufsgruppen, die häufiger vom Burnout betroffen sind als andere. Gefährdet sind sehr engagiert, ehrgeizig und hart arbeitenden Menschen aus der IT-Industrie, die ihre Höchstleistungsgrenzen dauerhaft mit einer Marathon-Arbeitsliste überschreiten. Extrem gefährdet sind auch freiberufliche Dienstleister und Trainer. Auch Menschen, die den Aufwand in Projekten unterschätzen, Meilensteine zu eng setzen und zu wenige Pufferzeiten einräumen.

Die wirklich wichtige Frage ist aber, ob unsere Arbeit zu uns passt. Wir alle sind unterschiedlich in unserer Persönlichkeit. Jemand, der perfektionistisch ist, gerät unter Stress, wenn Situationen chaotisch werden. Jemand, der sehr kreativ ist, gerät unter Stress, wenn er Routineaufgaben erledigen soll.

Für eine Sache brennen, ohne selbst auszubrennen

Stress ist zwar in den meisten Fällen von außen vorgegeben – aber ob der Stress mir schadet, kann ich selbst entscheiden. Ein gutes Trennen von Arbeit und Privatem, Abschalten nach der Arbeit, Sport, Hobby, Freunde und Familie sind daher wichtig. Entspannungsverfahren, Yoga, autogenes Training und Meditation helfen, gelassener zu werden. Hilfreich ist auch, Belastungs- und Stress-Situationen zu minimieren oder auszuschalten. Langfristig ist man mit einem Perspektivenwechsel, der Änderung des Blickwinkels gut beraten. Nicht schneller-höher-weiter, sondern situationsadäquat handeln ist die Devise.

Wenn uns eine Situation oder ein Projekt kaputt macht, haben wir immer drei Alternativen: Love it, change it or leave it. Selbstverständlich kann ein Ausstieg aus dem Projekt eine Alternative sein. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir uns immer selbst mitnehmen, wenn wir das Projekt wechseln. Dann ist nach dem Stress vor dem Stress.

Fazit

Das war die Meinung der beiden Experten – nun wieder zurück zu GULP: Auf die Frage „Wie oft stehen Sie so richtig unter Stress?“ antworteten bei einer GULP Trash Poll im November neun Prozent der Teilnehmer mit „ständig“. Bei einem knappen Viertel ist es immerhin oft, bei 61 Prozent ein wohl sehr gut vertretbares "ab und zu mal". Ein Selbstständiger kommentierte das Umfrage-Ergebnis folgendermaßen: "Insbesondere IT-Freiberufler sind alleine schon deswegen unter Stress, weil diese einen Projektvertrag haben, der datiert ist. Bis dahin muss die Aufgabe erledigt sein, andernfalls heißt es, er hat es nicht geschafft, völlig unabhängig davon, ob der Termin realistisch war oder nicht.“ Die Budgets seien oft sehr knapp bemessen, meint der Freelancer. Häufig bliebe nur die Option, „auf Kosten der Qualität die Terminvorgaben einzuhalten“.

Positiver Stress spornt an

In einer anderen Kurzumfrage auf gulp.de gab nur etwa ein Fünftel der Teilnehmer an, in der Arbeit unter belastendem Stress zu stehen. 55 Prozent sind zwar gestresst - aber in einer positiven Art und Weise. Sie blühen auf, wenn sie vor neuen Herausforderungen stehen, haben viel zu tun, empfinden das aber nicht als Belastung. Ein bisschen Stress tut gut – er spornt an und macht leistungsfähiger.

In einem Bericht der Zeitung „Welt“ mit dem Titel „Warum der Mensch Stress zum Leben braucht“, heißt es: „Ein Leben ohne Stress scheint zwar gemütlich, aus gesundheitlicher Sicht ist es jedoch nicht erstrebenswert. Denn neben dem viel zitierten Burnout-Syndrom gibt es mittlerweile auch ein Boreout-Syndrom. Es leitet sich vom englischen "to bore" (sich langweilen) ab.“ Weiter heißt es: „Wer ständig unterfordert ist und im Büro nur die Stunden zählt, bis er wieder nach Hause kommt, ist dann müde, lustlos und frustriert.“ Ein stressloses Berufsleben ist also auch kein erstrebenswerter Zustand.

Freiberufler im Stress: Nur eine Seite der Medaille

Es ist klar, dass vor allem Arbeiten, die nicht geplant werden können, sowie unrealistisch kalkulierte oder parallel laufende Projekte negative Stressfaktoren sind. Der Zeit- und Arbeitsdruck, unter dem IT-Selbstständige stehen, ist in letzter Zeit größer geworden. Die Entwicklungszyklen werden kürzer, dadurch wird der Projektdruck stärker. Projektarbeiter haben in einem gewissen Maße mit Unsicherheit oder Unplanbarkeit zu kämpfen, sie brauchen Disziplin und müssen für sich selbst die Verantwortung übernehmen. Dafür bekommen sie aber Flexibilität, Freiheit und mehr Abwechslung im Leben – Dinge, nach denen sich viele Angestellte sehnen.

Wer zu viel negativen Stress verspürt, sollte für ausreichend positiven Stress in seinem Leben sorgen. Der bewirkt Ausgelassenheit und Lebensfreude – Eigenschaften, die helfen, den negativen Stress leichter wegzustecken. Jeder einzelne kann etwas dagegen tun, sich vom Stress nicht „ausbrennen zu lassen“. Positive Erlebnisse in der Freizeit oder Arbeitspausen helfen.

Abschalten macht leistungsfähiger

Klar ist Abschalten schwierig, gerade für Selbstständige. Aber es ist einfach nötig. Die Freiberuflerin Claudia Klinger fragt sich in einem etwas älteren Eintrag auf ihrem Blog, ob es nicht auch mal sinnvolles unternehmerisches Handeln sein kann, die Bremse zu ziehen: „Es wirkt auf mich geradezu sündhaft, so zu denken. Ist es nicht die erste Pflicht der Freiberuflerin, immer am Ball, immer erreichbar, immer dienstbereit zu sein? Nicht zuletzt gibt es ja auch ein gutes Gefühl, gebraucht zu werden – und da soll ich bremsen, mir eine kreative Pause gönnen? Ja! Nach über zehn Jahren Web-Arbeit mit nur einem einzigen erwähnenswerten Urlaub darf ich mir das mal erlauben. Schließlich dient es meinem Geschäft und künftigen Kunden, wenn ich meine Basis überarbeite, dabei Neues lerne und den Wildwuchs der verschiedenen Aktivitäten mal konzentriere, um mich aufs Wesentliche zu besinnen.“

Wer sich organisieren kann und Techniken kennt, um Stress zu vermeiden, kann seinen eigenen Stress reduzieren. Ein paar Tipps:

  • Bessere Organisation, um mehr Ruhe zu bewahren (zum Beispiel eine Zeit für die Steuern und Buchhaltung einplanen, damit das schlechte Gewissen nicht monatelang Druck macht)
  • Vermeiden, den Tag allzu voll zu packen
  • Pausen und Urlaub einplanen. Kein Mensch hält es ohne aus, auch IT-Freiberufler nicht. Und dann: Im Urlaub nicht daran denken, dass man jetzt gerade eigentlich arbeiten könnte, damit Geld reinkommt…
  • Finanziell vorsorgen: Wer Geld zurücklegt statt es in ein schickes Auto zu investieren, muss keine Angst vor plötzlichen Forderungen des Finanzamts oder vor projektfreien Zeiten haben und steht weniger unter Druck. Wenn das Projekt beim Kunden an die Substanz geht, kann er leichter einfach mal so gehen als ein Freelancer, der (noch) nichts sparen konnte. Selbstständige müssen sich ihr finanzielles Auffangnetz selbst stricken. Wer eines hat, hat viel weniger Last auf seinen Schultern.

Wie sehen Sie das: Sind IT-Freiberufler besonders Stress-gefährdet? Oder hat das Dasein als Selbstständiger ebenso viele Vorteile wie Nachteile?