Digitalisierung braucht einen handfesten Plan

Interview mit Christian Hetterich, Gründer und Geschäftsführer der condots GmbH

Das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) fördert die Digitalisierung von Krankenhäusern. IT-Experte Christian Hetterich hat sich mit seiner Firma darauf spezialisiert, die Zusammenarbeit und Arbeitsweise in deutschen Krankenhäusern maßgeblich zu verbessern, unter anderem auch mit den Möglichkeiten der Digitalisierung. Welche Aspekte bei der Einführung von digitalen Tools oft übersehen werden und wie man den Blick fürs große Ganze nicht verliert, verrät er im Interview mit GULP.
Zwei Frauen im Labor am gemeinsamen Forschen - helle Farben

Digitalisierung braucht einen handfesten Plan

Interview mit Christian Hetterich, Gründer und Geschäftsführer der condots GmbH

GULP Redaktion
Das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) fördert die Digitalisierung von Krankenhäusern. IT-Experte Christian Hetterich hat sich mit seiner Firma darauf spezialisiert, die Zusammenarbeit und Arbeitsweise in deutschen Krankenhäusern maßgeblich zu verbessern, unter anderem auch mit den Möglichkeiten der Digitalisierung. Welche Aspekte bei der Einführung von digitalen Tools oft übersehen werden und wie man den Blick fürs große Ganze nicht verliert, verrät er im Interview mit GULP.
Christian Hetterich, Geschäftsführer der condots gmbh

Christian Hetterich ist Gründer und Geschäftsführer der condots GmbH. Schon früh im Leben hat er seine Leidenschaft sowohl für die IT als auch die Medizin entdeckt: Mit acht Jahren schraubte er an Computern, im Zivildienst bekam er Einblicke in den Alltag eines Klinikums. Nach einer Ausbildung zum Fachinformatiker mit anschließendem Bachelorstudium in Informatik absolvierte er seinen Master in Medizinischer Informatik an der Ruprecht Karls-Universität Heidelberg. Es folgten Stationen auf Anbieter- und Klinikseite. Dort hatte er jedoch stets das Gefühl, zu kleinteilig zu arbeiten und limitiert zu sein. So beschloss er 2021 den Schritt in die Selbstständigkeit. Die condots GmbH hat sich zur Aufgabe gemacht, die Zusammenarbeit und Arbeitsweise in deutschen Krankenhäusern maßgeblich zu verbessern, unter anderem auch mit den Möglichkeiten der Digitalisierung. Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz wird dieses Unterfangen nun auch von Bund und Ländern finanziell gefördert. Wie dieser Prozess voranschreitet und welche Rolle die condots GmbH dabei spielt, erklärt er uns im Interview.

2021 haben Sie die condots GmbH gegründet. Wie sind Sie zu diesem Entschluss gekommen?

Mir fiel schon während meiner Zeit in Festanstellung auf, dass viel Potenzial bei der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten auf der Strecke bleibt. In den meisten Fällen fehlte der Blick für das große Ganze, also eine Strategie, auf die die einzelnen Vorhaben gemeinsam einzahlen. Mit der condots GmbH schaffen wir solch eine Vision und verbinden die einzelnen Projekte zu einem sinnvollen Gesamtvorhaben. Der Name condots spiegelt dieses Vorgehen wider: Wie bei den bekannten Kinderbildern verbinden wir die einzelnen Punkte und lassen dadurch erst das Gesamtbild entstehen. Eben „connecting the dots“.

Wo liegen die Schwerpunkte Ihrer Tätigkeit?

Wir bieten einen ganzheitlichen Ansatz. In vielen Kliniken treffen wir leider noch auf das typische Silodenken, also jede Abteilung digitalisiert für sich, ohne die Schnittstellen zu berücksichtigen oder Rücksprache untereinander zu halten. Hier kommen wir ins Spiel. Wir überprüfen vor Ort, wie Prozesse generell verbessert werden können, was zunächst nicht zwingend mit dem IT-System zusammenhängt. Auf Basis dieser Analyse zeigen wir auf, welche Softwarelösung die Abläufe optimieren und produktiver gestalten kann. Neben der reinen strategischen Beratung unterstützen wir auch im operativen Bereich. In der Implementierungsphase fungieren wir dabei als Schnittstelle zwischen Lösungsanbieter und Klinik, um die genaue sowie schnelle Umsetzung der Projekte sicherzustellen. Zudem unterstützen wir bei der Kommunikation in die Klinik und dem Change Management.

Digitalsierungsbooster Krankenhauszukunftsgesetz

Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) und dem zugehörigen Krankenhauszukunftsfonds (KHZF) sollte die Digitalisierung von Kliniken vorangetrieben werden. Hat es tatsächlich einen spürbaren Schub gegeben?

Definitiv! Seit Jahren gibt es einen Investitionsstau, der sich jetzt dank dem KHZG langsam auflöst. Meiner Meinung nach kommen wir damit schon weiter, doch es wird in Zukunft weitere Förderungen brauchen, um auf internationales Top-Niveau zu kommen.

Das KHZG beschreibt elf Fördertatbestände. Wo sehen Sie die größten Defizite?

Eindeutig im Fördertatbestand (FTB) 3, die „Behandlungs- und Pflegedokumentation“. Es gibt zwar schon sehr gute Lösungen, doch die sind häufig einfach nicht implementiert. Die Gründe dafür sind vielseitig. Einerseits werden diese Prozesse historisch gesehen schon immer auf Papier erledigt. Auf der anderen Seite ist das ausführende Pflegepersonal meist nicht sonderlich IT-affin, was jedoch nicht an den Personen selbst liegt. Es wird aus meiner Erfahrung schlichtweg zu wenig im Bereich Mitarbeiterqualifizierung und Wissensmanagement getan, um adäquat gegenzusteuern.

Mit dem FTB 3 haben wir hier nun die Möglichkeit etwas zu bewegen. Mit nur wenigen Stellschrauben lassen sich durch die Digitalisierung viele manuelle Tätigkeiten eliminieren, was zu enormen Zeitersparnissen führt. Und das ist bei den Pflegekräften, der größten Berufsgruppe in einem Krankenhaus, ein enormer Hebel für die gesamte Einrichtung. Eine große Hürde ist hier jedoch die Nutzerakzeptanz. Diese lässt sich aber mit der richtigen Strategie zur Einführung, einer transparenten und aktiven Kommunikation sowie Investitionen in Wissensvermittlung wesentlich verbessern.

Präsenzschulungen sind im ersten Schritt wichtig, aber eben nicht die Lösung für alles und bei weitem nicht ausreichend.

Wie muss diese Wissensvermittlung aussehen?

Das Ziel muss sein, uns von der „das haben wir schon immer so gemacht“-Mentalität zu lösen. Präsenzschulungen sind im ersten Schritt wichtig, aber eben nicht die Lösung für alles und bei weitem nicht ausreichend. Wir alle kennen das Problem: Binnen kürzester Zeit soll viel Wissen vermittelt werden. Die Mitarbeitenden werden im Schulungsraum über vier bis acht Stunden mit neuem Wissen druckbetankt. Doch wieviel Wissen bleibt davon im Kopf verankert? Fakt ist, dass wir rund 80 % dieses Wissens innerhalb einer Woche bereits wieder vergessen haben. Da hilft auch nicht der One-Pager, der einem mitgegeben wird. Weitaus besser ist es, den Mitarbeitenden ein Werkzeug an die Hand zu geben, das kontextsensitiv Hilfestellungen bereitstellt. Es sollte erkennen, in welchem Programm sich ein Anwender befindet, welcher Berufsgruppe er oder sie angehört und welche Informationen benötigt werden.

Glücklicherweise gibt es eine solche Lösung und wir unterstützen aktiv deren Verbreitung im Gesundheitswesen. Der große Vorteil ist aktuell, dass für die KHZG-Projekte ohnehin eine IT-Dokumentation sowie ein Schulungsleitfaden erstellt werden müssen. Wenn diese Lösung von Anfang an genutzt wird, kann eine Klinik mit einem Schlag mehrere solcher Dokumentationen erstellen und dieses Wissen für alle Mitarbeitenden bereitstellen.

Hat diese spannende Software denn bereits einen Namen?

Die Software-Lösung heißt „tts performance suite“ und wird von der tts GmbH aus Heidelberg bereitgestellt. Wesentlich eingängiger ist jedoch deren Symbol in der Taskleiste von Windows. Daher bewerben wir die Lösung einfach nur als „die Orange“. 

Ihre Digitalisierungsstrategie steht, doch das Personal fehlt?

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Sich wieder auf das Wesentliche konzentrieren können

Welche Vorteile haben Krankenhäuser von einer durchgehend digitalen Arbeitsweise?

Das gesamte Personal profitiert durch die enorme Zeitersparnis: Mehrfachdokumentation wird vermieden und Informationen zu Vorerkrankungen sind für alle behandelnden Personen zugänglich. Zudem können so auch Fehler bei der Therapieauswahl vermieden werden. Simples Beispiel: Wenn bereits bei der Aufnahme dokumentiert wird, dass ein Patient eine Latex-Allergie hat, kann die Vorbereitung der Operation zielgerichteter erfolgen. Wir benötigen dringend eine solche Entlastung, damit sich alle Berufsgruppen auf ihre eigentliche Arbeit – das Gesunden von Menschen – konzentrieren können. Das zeigen auch die Ergebnisse des MB-Monitors 2022 des Marburger Bunds.

Warum sind manche Prozesse noch papierbehaftet? Hat das gesetzliche Gründe?

Gesetzliche Gründe gibt es dafür nach meinem Sachstand keine, denn bereits seit Jahren besteht die Möglichkeit, Dokumente rechtskonform elektronisch zu signieren. Ich denke, dass lässt sich schlichtweg mit der Gewohnheit und dem Investitionsstau bei Digitalisierungsprojekten begründen. Die passenden Lösungen sind bereits fertig entwickelt auf dem Markt, sie müssen „nur noch“ integriert werden.

Was ist der Nutzen für die Patienten?

Patienten profitieren davon, dass die behandelnden Personen mehr Zeit für sie haben. Das muss auch das ultimative Ziel sein. Es ist mittlerweile mehrfach mit Studien belegt, dass sich eine aktive persönliche Interaktion zwischen Behandler und Patient positiv auf den Heilungsprozess auswirkt.

Darüber hinaus bietet der FTB 2 „Patientenportale“ enormes Potenzial für die Zukunft. Damit können alle Daten schnell und einfach digital zur Verfügung gestellt werden – sowohl vor als auch nach einer Behandlung. Das bindet den Patienten ebenfalls stärker in den Behandlungsprozess ein und sorgt auch ein Stück weit dafür, dass sie mehr Eigenverantwortung für ihre Gesundheit übernehmen. Des Weiteren werden wir durch die Digitalisierung Unmengen an Daten bekommen. Wenn diese nicht nur abgelegt, sondern auch strukturiert gespeichert werden, können wir sowohl die intersektorale als auch die internationale Vernetzung von Leistungserbringern wesentlich verbessern. Letztlich profitiert auch die Forschung davon. Grundvoraussetzung hierfür ist natürlich, dass geltende Gesetze zum Datenschutz eingehalten werden.

Ist die DSGVO kontraproduktiv, was die ePA bzw. Patientenportale angeht?

Ich persönlich bin der Ansicht, dass der Datenschutz insgesamt die Innovation ein Stück weit ausbremst. Es ist richtig und wichtig, persönliche Daten zu schützen, gleichzeitig werden schlichtweg viele Informationen benötigt, um Muster darin erkennen zu können. Im Gegensatz zu pseudonymisierten Daten lassen anonymisierte Behandlungsdaten keine Rückschlüsse auf die Person dahinter zu. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Hürde weniger die technischen Möglichkeiten, sondern vielmehr die insuffiziente Aufklärung darüber ist.

Zudem fehlt es noch an einheitlichen, herstellerunabhängigen Standards. Das KHZG macht hier glücklicherweise einen Schritt in die richtige Richtung und setzt die Interoperabilität vieler Fördertatbestände auf Basis international anerkannter Standards wie z.B. FHIR voraus. Spannend ist auch zu sehen, dass openEHR immer mehr Zuspruch erfährt.

Weiterhin Aufholbedarf bei der Digitalisierung deutscher Krankhäuser

Für wie weit halten Sie die Digitalisierung deutscher Krankenhäuser im internationalen Vergleich?

Wenn wir uns einer Fußballanalogie bedienen möchten, würde ich solides Mittelfeld der Tabelle sagen. Hier besteht also weiterhin großer Aufholbedarf. Wir werden am Ende des KHZG sehen, wo wir stehen. Denn die Kliniken sind verpflichtet, über das DigitalRadar sowohl vor als auch nach Umsetzung der KHZG-Projekte ihren Digitalisierungsgrad zu erheben und zu übermitteln.

Was sind die größten Hürden bei Digitalisierungsprojekten?

Die Personalengpässe sowohl auf IT- als auch medizinischer Seite, denn Projekte benötigen die Expertise von beiden. Darüber hinaus stellen wir immer wieder fest, dass es an Effizienz bei der Durchführung mangelt. Häufig laufen mehrere Projekte parallel und stehen sogar in Konkurrenz zueinander. Es ist wesentlich effektiver, ein Projektportfolio aufzubauen und die einzelnen Projekte darin zu priorisieren. So können die größten Pain Points schnell beseitigt und alle offenen Aufgaben systematisch abgearbeitet werden.

Was in den meisten Fällen unterschätzt wird, sind die Themen Kommunikation und Change Management. Es ist essenziell, Änderungen klar zu kommunizieren und ein Zielbild zu vermitteln. Dieses darf nicht nur die wesentlichen Features einer Software aufführen, sondern muss den Mehrwert für die Nutzenden darstellen. Ist das Ziel nicht attraktiv, leidet die Nutzerakzeptanz massiv. Wenn jedoch klar ersichtlich ist, welche Vorteile bspw. eine neue Software bietet, verlassen die Nutzenden gerne ihre Komfortzone und beteiligen sich aktiv. Nach unserer Erfahrung ist das der Schlüssel zu erfolgreichen Projekten, ganz gleich, ob dabei 200 oder 7.000 Personen beteiligt sind.

Wie fangen Sie diese Personalengpässe in den Projekten auf?

Wir machen sehr gute Erfahrungen mit Freelancer:innen bei der Umsetzung von Projekten. Hier arbeiten wir unter anderem eng mit dem Personaldienstleister GULP zusammen. Die vermittelten Expert:innen nutzen wir sowohl fachlich als auch kapazitiv als Erweiterung. Das hilft uns dabei, auch große Projekte zu bewältigen, da wir als junges Unternehmen noch nicht über die Fülle an internen Arbeitskräften verfügen. Zudem wird im Gesundheitswesen häufig sehr spezielles Fachwissen benötigt, wenn es beispielsweise um dedizierte Software-Administrationsaufgaben oder ähnliches geht. Mithilfe von Freiberufler:innen können wir dieses Expertenwissen gezielt ins Projekt bringen. Da wir bisher sehr gut mit diesem Ansatz gefahren sind, bauen wir die Zusammenarbeit mit externen Spezialist:innen weiter aus.